Diese Nacht war grauenhaft in Shigatse! Nachdem ich das Licht gelöscht habe, um zu schlafen, konnte ich von der Lobby her die Strassenkatze von gestern Abend jämmerlich miauen hören. «Vielleicht ist eines der jungen oder die Mama jetzt im Hotel eingeschlossen», ging es mir durch den Kopf. Ich war kurz davor aufzustehen, um nachzusehen. Irgendwann war es dann doch still und ich bin eingeschlafen, nur um dann mitten in der Nacht von meinem Unterbewusstsein geweckt zu werden. Zuerst verstand ich nicht, weswegen ich war wurde. Bis ich die Geräusche vernahm. Es klang so, als wäre etwas grosses in meinem Zimmer, eine Person oder so, die sich durch meine Sachen wühlte und mit einer Papiertasche hantierte. Vor allem, weil es direkt von vor meinem Bett kam. Ich habe kaum zu atmen gewagt. Und plötzlich hörte das Geräusch mitten drin auf. So als würdest du eine Actionszene pausieren. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen. Es war so unheimlich! Nach ein paar Minuten angestrengtem Lauschen, ob es wieder kommt, was jedoch nicht passierte, habe ich mich blitzschnell zur Seite gedreht und das Licht angemacht, die Brille aufgesetzt und zu meinem Rucksack geschaut. Da war nichts. Natürlich. Ich habe tief Luft geholt und bin ziemlich verstört und zittrig aufgestanden und habe das ganze Zimmer abgesucht und sogar alle Wände abgetastet und abgeklopft, inklusive Schrank. Da war absolut nichts! Und nein, ich habe nicht geträumt, weil mein Traum um völlig was anderes ging und ich habe sonst schon so einen Katzenschlaf. Ich habe mir das garantiert nicht eingebildet. Auf jeden Fall konnte und wollte ich das Licht nicht mehr ausschalten, von Schlafen konnte sowieso keine Rede mehr sein. Da bin ich halt im Bett geblieben und habe ein bisschen gelesen und Picross gespielt. Was schön war, war die Nachricht meiner Schwester, dass der Kleine auf die Welt gekommen ist und alles gut ging. Jetzt bin ich wieder Tante! So toll! Und das Foto ist herzallerliebst! Später bin ich dann aufgestanden und habe dann meine Sachen fertig gepackt und habe es sogar fertig gekriegt, dass ich alles in den grossen Rucksack brachte, sogar meine Wanderschuhe. Auch meinen seit Peking mitgeschleiften Proviant. Den ich wahrscheinlich noch nach Kathmandu mitnehmen werde.
Danach trafen wir uns in der Lobby und bestiegen unseren Bus, der uns zu unserem Restaurant brachte fürs Frühstück. Dort gab es ein kurzes Durcheinander, weil Deb es sich anders überlegt hat mit ihrem Frühstück und der Guide dann dachte, er müsse jetzt ihres essen, dabei hat er meine Vorbestellung gemampft. Danach konnten wir entscheiden, ob wir bei diesem Kloster die Outdoor Kora machen möchten oder mit dem Führer eine Besichtigung dessen. Ich habe mit den meisten mich für die Outdoor Kora entschieden und die ging über eine Stunde der Klostermauer entlang den Berg hinauf, um eine Festung und dann wieder hinab in die Stadt und dann wieder der Klostermauer entlang. Ich war ziemlich schnell und bin einfach den Einheimischen hinterher und habe alles angeguckt und genossen. So war ich dann schnell mal den anderen voraus. Irgendwann hatte ich die Klostermauer hinter mir und kam Richtung Festung. Da versuchten zwei alte Damen einen Ast von einem Baum runterzuziehen. Ich lief einfach hin und habe ihn für sie runtergezogen und sie konnten so die Früchte pflückten. Im ersten Moment haben sie es gar nicht kapiert, aber dann fanden sie es grossartig und haben mir überschwänglich gedankt. Dafür haben der Gefängniswärter und die Selbstsuchende mich eingeholt und sie musste dringend aus Klo. Ich lief einfach weiter und kam an eine Kreuzung, an der ich nicht wusste, wo die Kora weiterging. Die alten Damen von vorhin zeigten mir die Richtung und winkten mir lachend hinterher, während ich mich auf nepalesisch dankend weiter auf den Weg machte. Zwischendurch sah ich zurück, um mich zu vergewissern, dass die anderen zwei mir folgten. Zuerst wollten sie den Weg vor der Festung zurück ins Dorf nehmen, kamen mir dann aber trotzdem hinterher. Hinter der Festung hatte es ein WC, aber das war anscheinend geschlossen. So liefen wir um die Festung herum und hinten den Berg hinab ins Dorf. Da ich den Weg wusste und auch, dass die anderen ihn sicher nicht finden würden, lief ich langsamer und sah mich immer wieder nach ihnen um. Schliesslich kamen wir an einen kleinen verstecken Markt, an den sich sicher kaum Touristen verirrten, denn die Einheimischen waren ganz aus dem Häuschen als sie uns sahen. Der Selbstsuchende konnte da endlich aufs Klo. Und wir liefen dann weiter zurück zum Kloster, wo wir die anderen trafen.
Nach einer kurzen Pinkelpause liefen wir Richtung Bus und mussten irgendwo an einer Strasse warten. Während die anderen sich angeregt miteinander unterhielten, hatte ich nichts zu tun und sah mich ein bisschen um. Dann sah ich ein paar Leute zwischen zwei Bäumen in deren Äste starren und miteinander diskutieren. Jemand stocherte mit einem Metallstab in den Blättern rum. Ich dachte, vielleicht kann ich helfen und lief rüber. Natürlich habe ich das winzige braune Tigerkitten sofort entdeckt, das in einem Baum auf einem grossen Ast sass, mich ansah und herzzerreissend miaute. Ich versuchte mit den Einheimischen zu kommunizieren und fragte hilflos, ob sie mir eine Räuberleiter machen könnten. Sie sahen mich nur verständnislos an. Ich lief dann um den Baum herum, versuchte auf einen Betonklotz zu steigen und so an das Kitten ran zu kommen. Vergeblich. Ich rief nach den Britischen Jungs. Da sie mich aber nicht hörten, rannte ich zu ihnen und rief, dass ich ihre Hilfe brauchte und rannte schon wieder zum Baum zurück. Sie kamen natürlich sofort angelaufen. Ich zeigte ihnen das hilflose Kitten und fragte, ob sie mir eine Räuberleiter machen könnten, was sie selbstverständlich umgehend taten. Jedoch war der grosse Ast einfach zu hoch. Währenddessen versuchte ein Einheimischer auf den Baum zu klettern, doch ohne Erfolg. Ich packte mir die Metallstange und versuchte sie dem Kitten in Nöten hinzuhalten, doch es verstand natürlich nicht, was es damit machen sollte oder dann war die Stange wiederum zu kurz. Ich fand eine Abfallzange und habe es mir ernsthaft damit überlegt, doch die war noch kürzer als die Metallstange. Inzwischen waren wir umzingelt von Einheimischen, die gebannt das Spektakel verfolgten. Ich sagte den Britischen Jungs, dass einer von ihnen mit der Metallstange das Kitten vom Ast schubsen soll und wir fangen es mit meiner grünen Fleecejacke auf. Hierzu erhielten wir auch gleich die Hilfe eines engagierten Einheimischen. Doch leider klappte dies auch nicht, denn das Kitten lief Richtung Baumstamm und dann noch einen Ast höher. Irgendwann stand ich zwischen den Bäumen an der Strasse und blickte diese hinab. Auf der anderen Seite ein Stück entfernt, sah ich unseren Bus und dass die anderen auf uns warteten, denn der Führer sah mich und machte entsprechende Gesten. Ich schrie zu ihm herüber, er solle doch den Bus hierherfahren. Er schüttelte den Kopf. Da schrie ich nochmals zu ihm rüber, sie sollen mit dem Bus kommen, Wieder schüttelte er den Kopf und machte mir verständlich, dass er los wollte. Ich rastete fast aus. Und schimpfte Keith gegenüber, dass diese Verhalten jetzt wirklich unverständlich sei! Schliesslich hätte man auf den Bus klettern können! Immer wieder sah ich zu dem hilflosen Kitten hoch, das mich ansah und um Rettung schrie. Ich redete immer wieder auf es ein auf Schweizerdeutsch, dass alles gut kommt und wir es retten. Derweil hat es Matt irgendwie geschafft auf den Baum zu klettern. So nahmen wir die Metallstange und trieben das Kätzchen zu ihm rüber. Während er es zu fassen versuchte, spannten Keith, ich und ein Einheimischer meine Fleecejacke direkt zu Matts Füssen. Er konnte es endlich fassen und warf es behutsam zu uns runter. Kaum war das Kleine in meiner Jacke, umschloss ich es mit dieser und drückte es mir an die Brust, knuddelte es heftig und rieb mein Kinn über das kleine flauschige Köpfen, so wie ich es manchmal bei unserer Omakatz mache. Sofort entspannte es sich und begann laut zu schnurren. Da kamen plötzlich von allen Seiten Hände her und streichelten es und es wurde auf uns auf tibetisch eingeredet und vielfach Danke gesagt und Daumen hoch. Eine Frau mittleren Alters wollte mir unbedingt das Kitten abnehmen, aber ich liess sie ziemlich warten, während ich das süsse Ding weiter knuddelte und kraulte und auf es beruhigend einsprach. Irgendwann kam unser Guide und meinte, dass diese Frau das Kitten gerne nehmen und behalten wolle. Ich gab es ihr nur sehr widerwillig und sagte ihr, dass der Name des Kittens Buddha sei! Eigentlich wollte ich das Kleine selber mitnehmen, vor allem weil es so gut auf mich reagierte. Als ich ihr den kleinen Tiger gegeben habe, drehte ich mich um und sah gerade Matt das letzte Stück des Baumstamms runterspringen. Ich umarmte ihn herzlich und drückte ihn fest an mich und flüsterte ihm nur ein «Dankedankedanke» ins Ohr. Eigentlich hätte ich ihn küssen können. Mein Held! Dann folgten wir unsrem Guide zum Bus, wo alle durcheinander sprachen und überhaupt nicht draus kamen, was denn überhaupt los sei. Die Jungs erzählten es, weil sie ja schliesslich Briten sind und mein Englisch einfach nie deren Level erreichte. Deb neben mir witzelte, dass die Jungs ihr Karma nun mächtig aufgelevelt hätten und ich warf von meinen Frontsitz ein «Ich liebe dich Matt» nach hinten und alle lachten. Wir fuhren dann los auf unsere nächste 6-stündige Etappe. Deb und ich quatschten viel, eigentlich sprach vor allem sie. Irgendwann hörten wir die Jungs von der letzten Sitzreihe her das «The Never Ending Story» Lied singen aus Stranger Things und ich rief nach hinten: «bitte nicht schon wieder Jungs». Und Deb meinte, genau! Sie verlören gerade wieder ihre Karmapunkte! Worauf ich mit dem Spruch «Matt, das ich liebe dich nehme ich wieder zurück!» einen drauf setzte. Wir lachten alle. Die restliche Zeit schlief ich oder hörte Musik via Kopfhörer, weil der Tibetisch-Indisch-Chinesische Sound vom Fahrer und die Spotifyliste der Jungs von hinten mir einfach zu viel war. Dabei hatte ich wieder so viele Ideen für ein neues Buch. Irgendwann sah ich aus dem Fenster und sah gerade einen Sandfuchs eine Schotterpiste runterlaufen. Sind wirklich spezielle Tiere, vor allem ihre Gesichter.
Irgendwann machten wir eine Pause auf dem Pass, wo wir abermals über 5020 MüM waren und da hat es ziemlich gewindet und war sehr kalt. Nach gut 5-6 h kamen wir in New Tingri an und konnten nur schnell unsere Gepäck in unseren Zimmern ablegen, als es auch nochmals los ging. Wir fuhren zu einem alten Kloster, das früher eines der grössten Festungen der Gegend war, bevor es während des Aufstandes zerbombt wurde. Während wir den Kora-Weg hochliefen, konnten wir auf die Überreste der Festung sehen und das hat mich einfach ungemein an Herr der Ringe erinnert, wo die Nascul sind und der Nekromant. Ganz hoch kamen wir nicht, weil es gesperrt war. Als wir durch das Kloster liefen, konnten wir plötzlich ziemlich fröhliche Musik hören und Gesinge. Es waren Mönche, die gerade am Renovieren waren. Einer erlaubte uns, die Tempel zu betreten, welche gerade wieder aufgebaut wurden und eigentlich für die Öffentlichkeit gesperrt waren. Hui, war das spannend! Und eine so spezielle Atmosphäre! Deb und ich haben ein bisschen zu dieser fröhlichen Musik getanzt, das fanden die Mönche total lustig. Und dann konnten wir den Mönchen zusehen, wie sie die Pfeiler und Wände neu mit Farbe dekorierten und einer schloss sogar für uns ihr allerheiligstes auf; den Tempelaltar mit der grossen Buddhastatue und all den anderen. Diese war natürlich auch noch in Renovation, doch schon viel weiter als der Rest. Da stand fast alles einfach noch irgendwo und wir konnten sogar den grossen Buddha berühren und es war wirklich ein Erlebnis. Vor allem wenn du bedenkst, dass sonst die andere Klöster total überlaufen sind mit Pilgern und hier hattest du einfach Zeit und konntest es auch anfassen, was sonst nie und nimmer erlaubt gewesen wäre. Und ja, ich habe unerlaubterweise hinter dem Altar ein Foto gemacht. Dann konnten wir durch eine Tür treten und das ganze Tal überblicken. Dem Geruch nach zu urteilen, standen wir auf dem Dach der Toilette!
Unter vielem Gedanke sind wir dann zurück zum Hotel, wo wir kurz vor dem Supermarkt hielten und ich mir eine Dose Lhasa Draft Bier und Barley Wine holen konnte. Im Hotel haben wir zusammen Abend gegessen und ich habe alle nach ihrem Moment des Tages gefragt. Das finden so ziemlich alle eine tolle Sache. Keith meinte, als er mich ausrasten sah, weil die andern mit dem Bus nicht kommen wollten, fand er grossartig. Weil er mich noch nie so wütend erlebt hätte und das fand er toll, wie ich mich einfach für das Kätzchen eingesetzt habe. Obwohl ein paar der anderen mich auch immer wieder gerne damit aufziehen.
Seid ihr auch schon gespannt, wie es weiter geht? Dann schaut rein bei der nächsten Episode von: „Relchen’s Adventures“!